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Richter aus Südkorea besuchen das Oberlandesgericht Celle

Eine Delegation von sieben hochrangigen Richtern aus Südkorea hat am 9. und 10. Mai 2007 das Oberlandesgericht Celle und das Landgericht Hannover besucht, um sich vor Ort einen Eindruck vom Ablauf deutscher Gerichtsverhandlungen in Zivil- und Strafsachen und der Arbeitsweise der Gerichte zu verschaffen. Ein weiterer Höhepunkt war der Empfang bei der Niedersächsischen Justizministerin Elisabeth Heister-Neumann am Nachmittag des 10. Mai mit anschließendem Gespräch über neuere Entwicklungen des deutschen Zivil- und Strafprozessrechts mit Herrn Dr. Frank Lüttig, Leiter der Referatsgruppe Strafrecht, und Herrn Rainer Petzold, Referatsleiter u.a. für Zivilprozessrecht.

Die Studienreise war von dem Präsidenten des obersten Gerichtshofes von Südkorea, Yong-hun Lee, initiiert worden. In Südkorea gibt es kein Justizministerium, sondern der oberste Gericht nimmt die Aufgaben der Justizverwaltung wahr. Lee selbst hatte – wie viele südkoreanische Juristen – vor rund dreißig Jahren ein Semester in Hannover Rechtswissenschaften studiert und die damalige Zeit in sehr guter Erinnerung behalten. Vor dem Hintergrund, dass die südkoreanische Justiz derzeit an Reformen des Verfahrensrechts arbeitet, wollte Präsident Lee einen praktischen Erfahrungsaustausch mit den deutschen Kollegen in Celle und Hannover ermöglichen.

Das besondere Interesse am deutschen Recht rührt daher, dass das formelle und materielle Zivil- und Strafrecht in Südkorea stark vom deutschen Recht beeinflusst ist. Als Japan im Jahre 1910 Korea annektierte, führte es dort sein eigenes Rechtssystem ein, das seinerseits in weiten Teilen dem deutschen Recht entlehnt war. Korea hat diese Wurzeln auch nach dem Ende der japanischen Besatzungszeit im Jahre 1945 bis heute beibehalten, wenngleich mit der Befreiung Koreas auch US-amerikanisches Recht Eingang in die eigene Rechtsordnung gefunden hat.

Die sieben Vorsitzenden Richter von Land- und Oberlandesgerichten aus verschiedenen Städten Südkoreas, von denen praktischerweise vier den Nachnahme "Lee" trugen, nahmen am ersten Tag des Besuchs im OLG an mehreren Sitzungen des 3., 5. und 9. Zivilsenats teil. Danach erhielten sie in der Serviceeinheit des 17. und 18. Familiensenats von Frau Verena Trutnau einen Einblick in die Anwendung für die Zivilgerichtsbarkeit "EUREKA". Die Kollegen aus Südkorea berichteten nicht ohne Stolz, dass auch bei der dortigen Aktenführung und Verfahrensabwicklung moderne IT-Instrumente eine sehr große Rolle spielten. In Südkorea könnten die Parteien und Anwälte sogar über das Internet den Verfahrensstand abfragen, was in Deutschland aus sicherheitstechnischen Gründen derzeit nicht praktiziert wird. Im Anschluss hieran diskutierten OLG-Präsidenten Dr. Peter Götz von Olenhusen und die Kolleginnen und Kollegen aus den Senaten mit der Delegation bei einem Imbiß über die gewonnenen Eindrücke. Da die Gruppe fachkundig von einem Landsmann, Herrn Jeongjun Park, als Dolmetscher begleitet wurde, der in Freiburg Jura studiert hat und dort zurzeit sein Referendariat absolviert, gab es keinerlei Verständigungsschwierigkeiten. Überhaupt war es eine für beide Seiten amüsante Erfahrung, wie gut man den Ablauf der Gerichtsverhandlung auch ohne Sprachkenntnisse verfolgen und sogar das Verhalten der Parteien zutreffend deuten konnte. Als RiOLG Dr. Andreas Scholz die Gruppe nach einer Verhandlung bat, zu schätzen, welche Partei den Prozess gewinnen würde, tippten die Südkoreaner zutreffend auf den Rechtsanwalt, der sich verbal und gestisch am meisten hervorgetan hatte, während sich sein Gegenüber zurückhaltender geäußert hatte. Vor allem wurden aber die Gesichtspunkte, die für die südkoreanischen Reformüberlegungen zum Ablauf der mündlichen Verhandlung bedeutsam sein könnten, ausgetauscht. Am meisten beeindruckte die koreanischen Richter die ausführliche Erörterung des Sach- und Streitstands in der Verhandlung. Dass die deutschen Gerichte Rechtsprobleme mit den Parteien diskutieren und die eigene vorläufige Rechtsauffassung darlegen, sei in Südkorea völlig unüblich. Dort werde viel schriftlich erledigt und die oder der Vorsitzende gebe die vertretene Meinung auch nicht vor dem Urteil zu erkennen.

Aber auch die deutschen Kolleginnen und Kollegen staunten, wie sich die Mischung aus deutschen Rechtsgrundsätzen und der traditionellen taoistischen bzw. konfuzianischen Ethik auf die Rechtspraxis in Südkorea auswirkt. Dort bedeutet der Gang zum Gericht bereits ein Eingeständnis des Versagens, sich nicht ohne fremde Hilfe einigen zu können. Vor Gericht wie im sonstigen gesellschaftlichen Umgang gilt es als unschicklich, die Rechte, die man hat, bis zum Äußersten auszunutzen. Dies führt nicht nur zu einer geringeren Anzahl von Richtern pro Einwohnern und einer relativ hohen Vergleichsquote, sondern z.B. auch dazu, dass eine obsiegende Partei trotz eines entsprechenden Kostenausspruchs im Urteil häufig freiwillig den eigenen Kostenanteil übernimmt.

Am darauffolgenden Tag konnte die Delegation in Hannover die Praxis des deutschen Strafverfahrens erfahren. Nach einer stark formalisierten Verhandlung im Sicherungsverfahren vor dem Schwurgericht im Landgericht Hannover erlebten die südkoreanischen Richter sehr lebendige Verhandlungen beim Amtsgericht Hannover. Dass der Strafrichter die Verhandlung spontan unterbrach, um im Sitzungssaal telephonisch Erkundigungen einzuholen, verblüffte sie sehr. Bei einem gemeinsamen Mittagessen in der Kantine des Landgerichts tauschte sich die Gruppe mit Landgerichtspräsidenten Dieter Schneidewind auch über die Juristenausbildung und die Zahlen der von den Richtern zu erledigenden Verfahren aus.

Im Justizministerium diskutierte die Delegation schließlich mit der Justizministerin Elisabeth Heister-Neumann über die während der zwei Tage gewonnenen Erfahrungen. Dr. Lüttich wurde u.a. zu seiner Meinung zu südkoreanischen Vorschlägen befragt, wonach verbindliche Strafzumessungsrichtlinien einheitlichere Sanktionen und eine bessere Akzeptanz von Urteilen in der Bevölkerung gewährleisten sollen. Dr. Lüttig hielt dies nach deutschen Verständnis für einen Verstoß gegen den Grundsatz der Unabhängigkeit der Richter und sah hierfür auch kein rechtspolitisches Bedürfnis. Mit Herrn Petzold entspann sich angesichts der jüngsten Erfahrungen aus dem Sitzungssaal ein intensives Gespräch über die Auslegung des Begriffs der "Erörterung" in der mündlichen Verhandlung und der Rolle des Zivilrichters bei der Zeugenbefragung.

Die Delegation verabschiedete sich sehr zufrieden und dankte für die Möglichkeit, so intensiv die deutsche Rechtspraxis kennen gelernt zu haben. Auch für die deutsche Seite war der Besuch ein Gewinn. OLG-Präsident Dr. Götz von Olenhusen freut sich über die internationalen Kontakte: "Wir pflegen seit Jahren freundschaftliche Beziehungen zu den Justizbehörden in Posen. Jetzt interessieren sich auch die Gerichte aus Südkorea für unsere Arbeit. Dies zeigt, dass sich auch für die Justiz ein Blick über die Grenzen stets lohnt."

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